Historische Kriminalpost

 

 

 

 

 

 

 

 

Die historische Kriminalpost vom 18. Oktober 2024

Der erste Spion?! Auf jeden Fall eine schillernde Persönlichkeit

Hallo!

Immerhin kann Wilhelm Johann Carl Eduard Stieber auf ein bewegtes Leben zurückblicken, als er im Januar 1882 in Berlin stirbt. Doch was davon ist wahr und was wird uns in seinen Memoiren vorgeflunkert? Und passt eine fantasievolle Auslegung nicht zu einem Menschen, der sich mit immer neuen Identitäten das Vertrauen der Menschen erschleicht, gegen die er erfolgreich ermittelt?
In der vergangenen historischen Kriminalpost habe ich Dir von den ersten Lebensjahren Stiebers berichtet und endete 1851 mit der ersten Weltausstellung in London, zu der auch Stieber reist. Diesmal erzähle ich seine restliche Lebensgeschichte, mit Skandalen, Erfolgen und Niederlagen.
In dem Roman STIEBER von Wolfgang Brenner werden einige Anekdoten seines Lebens vor dem Hintergrund eines Kriminalfalls aufgegriffen. Es zeigt sich, wie wichtig tiefergehende Recherche ist.

Die Jahre 1850-52: Der Kommunistenprozess

Am 1. Mai 1851 wird im Hyde Park in London die erste große Weltausstellung (the great exhibition) eröffnet. Schon das Gebäude an sich ist eine Sensation: Ein Palast aus Glas und Stahl (Crystal palace), der selbst alte Ulmen in das Ausstellungsgebäude integriert. Hauptsächlich das britische Empire stellt aus, aber auch die deutschen Staaten und der Deutsche Bund tragen zu dem Erfolg der Ausstellung bei.

Im Vorfeld ersucht die Londoner Polizei um Mithilfe bei den europäischen Partnern: sie mögen doch Polizisten schicken, die während der Ausstellung ihre Landsleute im Auge behielten und auf einschlägig bekannte Subjekte aufmerksam machten, um den Schutz der Ausstellung zu gewährleisten.

Aus Preußen reisen Polizeiassessor Stieber und Polizeileutnant Greiff an, auch Breslau, Köln und Magdeburg schicken fünf Leute. Stieber’s Aufträge sind jedoch gänzlich andere. So ist er schnell genervt, von der Londoner Polizei als einfacher Streifenbeamter eingesetzt zu werden. Er will die deutschen Emigranten, darunter Marx, Willich und Kinkel, überführen, ihnen revolutionäres Handeln nachweisen, damit sie aus England ausgewiesen werden und so die gefährliche Strömung (den Bund der Kommunisten) zerschlagen wird.

In dem Buch »Der Spion des Kanzlers« (dtv, 1978) beschreibt Stieber, wie er sich das Vertrauen von Karl Marx erschleicht, seine Unterschrift ergaunert und damit an die Mitgliederliste des Bundes der Kommunisten kommt. Diese Angaben scheinen wie so vieles aus dieser Quelle fraglich.

Als Stieber einem Hinweis folgt und nach Paris reist, sind die britischen Behörden nicht unglücklich darüber und legen ihm nahe, doch nicht beizeiten wieder zurückzukehren.
Erst im Kommunistenprozess 1852 in Köln kann Stieber die gesammelten Hinweise vor Gericht vorbringen. Doch das »Original-Protokollbuch«, in dem angeblich revolutionäre Ideen der Splittergruppe Willich-Schlapper festgehalten sind, ist tatsächlich gefälscht.

Von den 11 Angeklagten werden vier freigesprochen, sieben zu Festungshaft bis zu sechs Jahren verurteilt. Während die bürgerliche Schicht entsetzt ist, erwartete sie doch durchgehend Freisprüche, sind die Vorgesetzten von Stieber mit dem Ausgang und dem mäßigen Ergebnis in London enttäuscht. Stieber beschreibt später den Prozess, die Beteiligten und das gesammelte Material in dem zweibändigen Buch »Die Communisten-Verschwörungen des 19. Jahrhunderts«.

Polizeiarbeit bis 1860

In den folgenden Jahren organisiert Stieber als Leiter der Kriminalpolizei diesen Bereich neu und führt u.a. die Revier-Kriminalpolizei ein. Geeignete Schutzmänner werden dazu extra in Kriminalistik und bzgl. des preußischen Strafgesetzbuches ausgebildet. Sie überwachen unter Anleitung eines Kriminalleutnants verdächtige Personen und melden schriftlich relevante Informationen an die IV. Abteilung des Polizeipräsidiums am Molkenmarkt.

Stieber selbst ist unermüdlich unterwegs, überführt eine Münzfälscherbande im Rheinland, baut ein Agentennetz in Frankreich auf, um einem Übergriff auf die linksrheinischen Gebiete durch die Franzosen rechtzeitig aufdecken zu können, verwaltet als Konkursverwalter sogar im Auftrag des Königs für einige Zeit die Kroll’sche Oper, eine Vergnügungsstätte im Berliner Thiergarten.

Er deckt einen Spekulantenbetrug an der Berliner Börse auf und ermittelt gegen Telegrafisten, die angeblich geheime Informationen an die Zeitung weitergaben. (Doch es war nur ein kluger Reporter, der eins und eins zusammenzählen konnte.) Häufig geht er Spuren nach, die Attentate auf den König und später auch auf Bismarck ankündigen und vereitelt so manchen Versuch.

In den wenigsten Fällen geht es in der damaligen Zeit um Mord, viel mehr um Betrug, wie bei dem Fall des falschen Prinzen von Armenien oder bei dem Ankauf einer angeblich echten, alten Handschrift. Damit kennt Stieber sich aus und kann erfolgreich ermitteln.

Doch an vielen Stellen sind seine Einstellung und sein Vorgehen auch mindestens fragwürdig. So beschwert er sich in einem Zeitungsartikel über das Briefgeheimnis, das so viele Ermittlungen erschwert, weil nun erst bei der Staatsanwaltschaft ein Antrag auf Beschlag des Briefes gestellt werden muss. Und schon damals mahlen die Mühlen der Justiz langsam.

In Streitigkeiten zwischen Gläubigern und Schuldner umgeht er das Gesetz, das einen Schiedsmann fordert, sondern tritt als Polizeibeamter an die Gläubiger heran und handelt, meist mit entsprechenden Druck, eine für den gutsituierten Schuldner günstigere Lösung aus. Dieses Vorgehen ist gang und gäbe und vom Polizeipräsidenten von Hinckeldey gedeckt. Doch als dieser 1856 bei einem Duell getötet wird und auch König Friedrich Wilhelm IV. 1858 aus gesundheitlichen Gründen seine Amtsgeschäfte an seinen jüngeren Bruder Wilhelm (den Kartätschenprinz) abgibt, brechen neue Zeiten an.

Die Feindschaft zwischen Oberstaatsanwalt Schwarck und Kriminalpolizeidirektor Stieber, die sich in den letzten zehn Jahren aufgebaut hat, gipfelt nunmehr 1860 in der Anklage Stiebers wegen Missbrauch der Amtsgewalt und widerrechtlicher Verhaftung zum Erzwingen eines Vergleiches im Rahmen von drei Wechselgeschäften.

Ermittlungen und Kriege – der Spion des Kanzlers

Stieber wird verhaftet, aber in dem in der Öffentlichkeit ausgebreiteten Prozess freigesprochen. Als Kriminalpolizeidirektor ist er nun nicht mehr haltbar, er wird freigestellt. Immerhin wird es ihn mit Genugtuung erfüllt haben, dass im Laufe der Verhandlung auch öffentlich wird, dass mit Wissen der Staatsanwaltschaft bei verschiedenen Untersuchungen Verdächtige mehr als die gesetzlich erlaubten 24 Stunden in Gewahrsam genommen wurden. Oberstaatsanwalt Schwarck und der Justizminister werden aus ihren Ämtern entlassen.

In den kommenden Jahren hält sich Stieber mit Grundstücksspekulationen über Wasser und arbeitet als privater Ermittler, auch im Auftrag des preußischen Innenministers. Aber wesentlich zahlungskräftiger ist das russische Zarenreich, das Stieber für die Überwachung von russischen Revolutionären in Preußen, die Führung eines Agentennetzes und für den Schutz des Zaren auf Auslandsreisen einsetzt.

1863 lernt Stieber Ministerpräsidenten Otto v. Bismarck kennen und wird von ihm für geheime Nachforschungen eingesetzt. Auch die gute Beziehung zu der russischen Seite nutzt Bismarck, um mündliche Botschaften überbringen zu lassen. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass Stieber nach einem missglückten Attentat im Mai 1866 für den persönlichen Schutz Bismarcks und des Königs aus der Kur zurückgerufen wird.

Denn Preußen steht kurz vor einem Krieg mit Österreich und Stieber wird zum Direktor der Feldpolizei ernannt. Neben dem Schutz des Königs, der ihn begleitenden Beamten und des Hauptquartiers ist Stieber auch für die Spionageabwehr, Kontrolle der Presse und Beschaffung von Informationen über den Gegner zuständig.

Nach dem Krieg wird in Berlin das Central-Nachrichten-Büreau unter Stiebers Leitung eingerichtet, ein Nachrichtendienst, der hauptsächlich Bismarck Ziel einer Reichsgründung zu Dienste steht und alle gegenteiligen, revolutionären und freiheitlichen Bewegungen, wie z.B. die Welfen aus Hannover, ausspioniert und in ihre Schranken verweist. Auch zeichnet sich schnell ein neuer Feind am Horizont ab: Frankreich, das einer Einheit Deutschland nicht wohlwollend gegenübersteht.

Bismarck provoziert 1870 mit der »Emser Depesche« die Kriegserklärung Frankreichs und Stieber zieht wieder als Direktor der Feldpolizei in den Krieg. Ihm zu Gute kommen sein schon bestehendes Agentennetz und seine Sprachkenntnisse ebenso wie seine Erfahrungen, die er im Krieg gegen Österreich gesammelt hat.

Drei weitere Jahre arbeitet Stieber nach dem Krieg 1871 im Central-Nachrichten-Büreau, das sich nun auf die Überwachung der Sozialdemokraten konzentriert, aber mehr und mehr an Bedeutung verliert. Aufgrund einer Gichterkrankung muss sich Stieber dann aus dem Spionagegeschäft zurückziehen. Er stirbt 1882 in seinem Haus in Berlin.

STIEBER von Wolfgang Brenner

1871, Paris ist von den Deutschen besetzt. Der französische Inspektor Lamartine kommt einem Mordkomplott auf die Spur, doch der Drahtzieher ist niemand anderes als der deutsche Geheimdienstchef Wilhelm Stieber. Um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, folgt Lamartine ihm sogar bis in das Berlin Bismarcks.

Der Kriminalroman liest sich spannend und hat mir gut gefallen. Nur die immer wieder aufschneiderischen Monologe von Stieber hätte sich der Autor sparen können. Insbesondere greift er dabei auf die Memoiren »Der Spion des Kanzlers« zurück. Dieses Buch wurde schon kurz nach dem Erscheinen 1978 von den historischen Experten als Fälschung entlarvt. Ich habe es trotzdem gelesen, und die Geschichten, in denen Stieber laut diesem Nachlass ermittelt, sind sehr abenteuerlich.

Hier zeigt sich, dass man auch als Autor immer vorsichtig mit seinen Quellen umgehen muss und sich nicht nur auf eine verlassen darf. Das ist ein Punkt, den ich bei der Recherche zu der Zeit um 1850 so spannend finde: in den primären Schriften, wie Zeitungen, Lebensberichten und Archivunterlagen zu lesen und ebenso die sekundären Quellen zu erforschen, aber dabei immer wachsam zu sein, was einem alles erzählt wird. Gerade bei Lebensberichten und Memoiren möchte der Schreibende ja ein bestimmtes Bild der Nachwelt vermitteln.

»Stieber« von Wolfgang Brenner, btb, 1999 – [unbezahlte Werbung]

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Bis zur nächsten Post am 18. des Monats

Viele Grüße

Maria

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