Historische Kriminalpost vom 18. Mai 2024
In den Märztagen 1848 zogen Bürger, Arbeiter und Handwerker, Demokraten und Liberale, Frauen und Männer vor die herrschaftlichen Häuser und Schlösser. Sie forderten in den meist absolutistisch-monarchischen Ländern mehr Mitsprache, eine Verfassung und Menschenrechte. Oft kam es zu blutigen Auseinandersetzungen, von den Barrikadenkämpfen hast Du in den letzten Briefen der historischen Kriminalpost lesen können (z.B. in der HiKriPo 04/24). Heute werfe ich einen Blick auf die Entwicklung der Forderungen.
Weiterhin stelle ich Dir den Kriminalroman »Anschlag auf den Telegraphen« von Karl-Heinz Göttert vor. Er erzählt kleinteilig und intensiv von den Tagen Anfang 1848 bis hinein in die Revolution im rheinischen Köln und beschreibt anschaulich auch die technischen Fragen der damaligen Zeit.
Vermutlich war der Wunsch nach einer unzensierten Meinung in einigen Ländern schon früh entstanden, doch erst 1689 in England wurden mit dem Bill of Rights für die Parlamentarier und ab 1695 durch Wegfall des Licence Act de facto für alle die freie Rede und der Meinungsaustausch, also auch die Abschaffung der Zensur, garantiert.
Schweden verabschiedete 1766 das weltweit erste Pressefreiheitsgesetz. Ebenso wurde die Pressefreiheit zuerst in den Verfassungswerken der einzelnen Staaten in Nordamerika verankert, bis sie auch im First Amendment 1791, einem Zusatzartikel zur Gründungsurkunde (Constitution) der Vereinigten Staaten von Amerika von 1787 Eintritt fand.
Die Französische Republik nahm in ihrer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen) 1789 unter anderem die Meinungsfreiheit und deren Verbreitung auf.
Durch die napoleonischen Kriege galt in den besetzten europäischen Staaten von 1804 an der Code civil, eine Art bürgerliches Gesetzbuch, das die Errungenschaften der Französischen Revolution von 1789, insbesondere der Ruf nach Freiheit und Gleichheit schriftlich festhielt.
Die Ideen von Freiheits- und Grundrechten bestanden auch nach dem Wiener Kongress 1815 weiter, zumindest in den Köpfen der Bürger und insbesondere der Studenten. So kam es 1817 zum legendären studentischen Wartburgfest, auf dem neben den freien Menschen- und Bürgerrechten ebenso der Ruf nach einer deutschen Nation laut wurden.
Solche Auswüchse wurden vom restaurativen Deutschen Bund misstrauisch beobachtet und rigide durch die Polizei verfolgt. Durch die Ermordung August von Kotzebues durch den radikalen Studenten Karl Ludwig Sand hatte die Obrigkeit 1819 einen Grund, die persönlichen und meinungsfreiheitlichen Rechte wieder einzuschränken (Karlsbader Beschlüsse). Als sich 1832 die bürgerliche Opposition zum Hambacher Fest traf, folgten danach weitere Verbote von Versammlungen, Anklagen gegen die Organisatoren und Repressalien gegen die Teilnehmer. Dies hielt die Redner, die um die Gefahr einer Verhaftung wussten, aber nicht davon ab, eine nationale Einheit, Freiheit und Volkssouveränität zu fordern. Doch die Rufe blieben unerhört.
Erst 1847 formulierten politisch engagierte Bürger in Offenburg und Heppenheim ihre Forderungen, wie ein zukünftiges Deutschland mit Bürgerrechten aussehen könnte.
In Offenburg trafen sich am 12. September 1847 zahlreiche badische Oppositionelle, um ein erstes Programm, einen ersten Aufruf nach mehr Beteiligung in der badischen Landespolitik zu formulieren. Im Gasthaus »Salmen« (heute eine Erinnerungsstätte) wurden die 13 »Forderungen des Volkes« formuliert und darüber per Zuruf abgestimmt. Zu lesen sind sie hier in aller Ausführlichkeit und im Original.
Insbesondere die Forderungen nach
gingen in die Märzforderungen ein, die im März 1848 in aller Munde waren.
Zusätzlich wurden die Märzforderungen ergänzt mit dem Ruf nach
In vielen deutschen Staaten machten die Regenten gegenüber der protestierenden Masse Zugeständnisse, allen voran der Großherzog Leopold von Baden. Baden hatte als eines von wenigen deutschen Ländern nach dem Wiener Kongress tatsächlich eine Verfassung eingesetzt, die der preußische König Friedrich Wilhelm IV. z.B. auch 1848 noch verweigerte, obwohl er es anders versprochen hatte.
Auch in Berlin war der König zu Kompromissen bereit. Doch als die Menge ihm dafür am 18. März vor dem Schloss zujubelte, kam es zu den unglücklichen Schüssen und die Barrikadenkämpfe begannen (wie in den vergangenen Briefen der historischen Kriminalpost zu lesen war).
In den deutschen Ländern wurden Stück für Stück Verfassungen als Folge der Revolution 1848/49 eingeführt, die auch schon begrenzt die Menschenrechte garantierten. Selbst bei Reichsgründung 1871 legte ein Gesetz über die Presse fest, was ging und was nicht. Erst die Weimarer Verfassung garantierte eine Meinungs- und Pressefreiheit ohne Einschränkungen. Doch nur kurz, denn mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten waren die Freiheiten wieder gestorben, mit dramatischen Folgen.
Viele der Märzforderungen gingen in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 über: z.B. die Pressefreiheit (Art. 5), Gewissensfreiheit (Art. 4) oder die Lehrfreiheit (Art. 7) u.v.m.
Am 23. Mai 2024 jährt sich die Verabschiedung des Grundgesetzes zum 75ten Mal. Gute Dokumentationen dazu findest Du z.B. in der ARD Mediathek.
Anfang 1848 begibt sich der angehende Zeitungsredakteur Werner Schilling im Köln auf die Suche nach dem Mörder seines Vaters. Dieser war Telegraphenwärter und wurde bei einem Anschlag auf den Telegraphenposten in Flittard getötet. Die optischen Telegraphen boten eine verhältnismäßig schnelle Möglichkeit, um Nachrichten zwischen dem zweigeteilten Preußen, zwischen Berlin und der rheinischen Provinz zu übertragen. Sollte mit dem Anschlag die preußische Regierung unter Druck gesetzt werden? Oder ging es gegen die neusten Erfindungen? Werner muss in die unterschiedlichsten Richtungen ermitteln und kommt schnell auf einige Verdächtige. Doch wer begann die Tat letzten Endes und warum?
Dann bricht in Frankreich die Februarrevolution aus und die ersten Nachrichten treffen in Köln ein …
Ich spüre bei Werner die Trauer nach dem Mord seines Vaters und den Wunsch, den Täter zu finden. Die polizeilichen Ermittlungen wurden eingestellt, ein Täter nicht gefasst. Aber der Tod des Vaters bringt auch eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit und bietet ihm die Möglichkeit, sich einen Namen als Journalist bei der Kölnischen Zeitung zu machen. Und als guter Journalist liest er auch jeden Tag die Zeitung und so erfahre ich, wer wen gerade grüßt, welche Anzeigen geschaltet wurden und was in den Tagen in der Welt passiert. Für mich eine sehr schöne, authentische und akribisch recherchierte Information. Stück für Stück entdeckt Werner immer mehr mögliche Motive, die sich auch mit den allerneusten Erfindungen und deren Konkurrenz untereinander beschäftigen.
Ebenso erlebe ich die ersten Reaktionen auf die Februarrevolution und die Hoffnungen und Befürchtungen, die daraus erwachsen.
Alles in allem ein detaillierter und spannender Blick in das Köln von 1848, die neusten Technologien zur Datenvermittlung und die unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen der (vor-) revolutionären Zeit.
»Anschlag auf den Telegraphen« von Karl-Heinz Göttert, emons Verlag, 2004 – [unbezahlte Werbung]
Hast Du Fragen? War die Länge gut für Dich, möchtest Du zu manchen Punkten mehr wissen? Was soll ich Dir in der nächsten historischen Kriminalpost erzählen?
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Bis zur nächsten Post am 18. des Monats
Viele Grüße
Maria