Historische Kriminalpost
Hallo!
Ein Kabinettsorder des Königs Friedrich Wilhelm III. vom 12. Februar 1811 verkündet die Ernennung des Stadtgerichtsdirektors von Schlechtendahl zum Polizeipräsidenten und eine Umstrukturierung der Polizei zum 1. April des Jahres. Dieses Datum gilt als Gründungstag der Berliner Kriminalpolizei. Dazu erzähle ich unten mehr.
Weiterhin erfährst Du in dieser historischen Kriminalpost von den Kämpfen am 18. und 19. März in Berlin, die Fortsetzung der letzten Kriminalpost (hier kannst du sie nochmal lesen).
Den Kriminalroman »Leichentuch und Lumpengeld« von Gabriella Wollenhaupt habe ich gerade zur Seite gelegt. Der Mord an einem Tuchfabrikanten in der kleinen Stadt Morgenthal verlangt den Einsatz eines preußischen Sonderermittlers. Was er zu Tage fördert, lässt einem die Nackenhaare zu Berge stehen.
Das allgemeine preußische Landrecht von 1794 beschreibt den Aufgabenbereich der Polizei als »Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung« (§10 II.17) inklusive Abwehr bevorstehender Gefahren. Bald kommt der vormals schon vorhandene Wohlfahrtsgedanke wieder hinzu.
Anfang des 19. Jahrhunderts nimmt König Friedrich Wilhelm III. die kriminalpolizeilichen Funktionen aus dem Aufgabengebiet des Polizeidirektoriums in Berlin heraus – es gab bürokratische, fiskalische und personelle Mängel, und weist sie zuerst dem Kammergericht, ab 1804 dem Stadtgericht zu.
Durch die Stein-Hardenbergische Reformen wird das gesamte Polizeiwesen 1809 dem Innenministerium und somit dem König untergeordnet. Der Magistrat, die Stadtverwaltung, hat nunmehr keinen Einfluss auf die Polizei. Der erste Berliner Polizeipräsident Karl Justus Gruner verteilt die Aufgaben auf vier Büros: das Generalbüro, das Polizeiamt, das Fremdenbüro und das Sicherheitsbüro.
Und mit dem Kabinettsorder vom 12. Februar 1811 verfügt der König:
»Ich finde Mich Bey Gelegenheit der Ernennung des bisherigen Stadtgerichts-Direktors Schlechtendahl zum hiesigen Polizei-Präsidenten, bewogen,
festzusetzen, daß die bisher von der Kriminal-Deputation des Stadtgerichts verwalteten kriminalpolizeylichen Geschäfte, mit den dazu bisher bestimmten Officianten, den sogenannten Kriminal-Kommissarien und Kriminal-Sekretairs, zur Polizey, wohin sie eigentlich gehören, übergehen …« [A.78 b zu Crim. 59]
Mit Wirkung zum 1. April 1811 tritt dieser Kabinettsorder in Kraft. Zusätzlich wird in einem 16 Paragraphen starken Vertrag die Zusammenarbeit zwischen Kriminalpolizei und Stadtgericht geregelt. Unter anderem darf der Kriminalpolizist Täter bzw. Beschuldigte nach eigenem Ermessen bestrafen, festsetzen oder entlassen. Zudem ist das Gericht von den Ermittlungen der Kriminalpolizei abhängig. Dieser Zwiespalt sorgt auch in den kommenden Jahren für Zwietracht zwischen den Organen. Immer wieder versuchen der Justizminister und das Gericht, die Entscheidung zu ändern.
Die Kriminalpolizei ordnet sich als Abteilung IV im Sicherheitsbüro ein.
In der Nacht vom 18. auf den 19. März 1848 toben in ganz Berlin an mehr als 100 Barrikaden die Kämpfe zwischen Militär und Berliner Handwerker, Arbeiter und Bürger. Unter ihnen bekannte Namen wie Theodor Fontane oder Rudolph Virchow.
»Auf dem Alexanderplatz kein Mensch, kein Ton, was mich unheimlich wie Stille vorm Gewitter berührte. Und nun über die Königsbrücke in die Königstraße hinein. Da sah es sehr anders aus und doch auch wieder ähnlich. Die Ähnlichkeit bestand darin, daß unten alles mehr oder weniger menschenleer war, aber oben – und das war der Unterschied – war in langer Reihe von Haus zu Haus alles wie festlich aufgebaut: die Dächer abgedeckt, die Dachziegel neben dem Sparrenwerk aufgehäuft und auf dem Sparrenwerk selbst allerlei Leute, die vorhatten, von oben her einen Steinhagel herunterzuschicken. Alles zeigte deutlich den Eifer derer, die sich, wenn’s nicht die Hausinsassen selbst waren, zu Herren des Hauses gemacht hatten, aber wenn man schärfer zusah, sah man doch auch wieder, daß es nichts Rechtes war, man wollte den Kampf gegen die Garden mit Dachziegeln aufnehmen! So kam ich bis dicht an die Spandauer Straße; von Schloßplatz und Kurfürstenbrücke her blitzten Helme, Geschütze waren aufgefahren und auf die Königstraße gerichtet. […]
Denn so ziemlich in demselben Augenblicke, wo draußen der Ulanenoffizier aus dem Sattel geschossen wurde, begann auch das Gefecht an allen Stellen: Vom Schloßplatz her, nachdem ein paar Sechspfünderkugeln den Kampf eröffnet hatten, rückte das erste Garderegiment in die Königstraße ein, von den Linden her ein Halbbataillon Alexander in die Charlottenstraße – wo vor dem Heylschen Hause der als »Einjähriger« eben sein Jahr abdienende Herr von Bülow, später Gesandter am päpstlichen Stuhl, durch einen Schuß in den Oberschenkel schwer verwundet wurde –, während starke Abteilungen erst vom zweiten Königsregiment in Stettin und bald darauf auch vom zweiten Garderegiment die in der Südhälfte der Friedrichstraße gelegenen Barrikaden nahmen. An einzelnen Stellen kam es dabei zu regulärem Kampf.[…]
[was ich] … über die Hauptaktion des Tages, den Kampf am Köllnischen Rathause, von einem der wenigen überlebenden Verteidiger ebendieses Rathauses gehört habe. Der mir’s erzählte, war der Buchdruckereibesitzer Eduard Krause, später Drucker der Nationalzeitung.
»… Wir hatten uns« – so hieß es in Krauses Bericht – »eine Treppe hoch im Köllnischen Rathause festgesetzt, an verschiedenen Stellen; in dem Zimmer, in dem ich mich befand, waren wir zwölf Mann. Es war eine sehr gute Position und um so besser, als auch das rechtwinklig danebenstehende Haus, die d’Heureusische Konditorei – früher das Derfflinger-Palais – mit Verteidigern besetzt war. In dem d’Heureusischen Hause kommandierte der Blusenmann Siegerist, über dessen Haltung später viel Zweifelvolles verlautete.
Gegen neun Uhr rückte vom Schloßplatz her eine starke Truppenabteilung heran, an ihrer Spitze der Kommandeur des Bataillons. Es war das erste Bataillon Franz, geführt vom Major von Falkenstein. Er war bis zum Moment seiner Verwundung immer an der Spitze. Dicht vor der Scharrnstraße zog sich eine Barrikade quer über die Breite Straße fort. Es war eine schwierige Situation für die Truppen, denn im Augenblick, wo sie bis dicht an die Barrikade heran waren, wurden sie doppelt unter Feuer genommen, von d’Heureuse und von unserem Rathause her. Sie wichen zurück. Ein neuer Ansturm wurde versucht, aber mit gleichem Mißerfolg. Eine Pause trat ein, während welcher man beim Bataillon schlüssig geworden war, es mit einer Umfassung zu versuchen. An solche, so nah es lag, hatten wir in unserer militärischen Unschuld nicht gedacht. Gleich danach ging denn auch das Bataillon zum drittenmal vor, aber mehr zum Schein, und während wir sein Anrücken wieder von unserem Fenster her begrüßten und sicher waren, es abermals eine Rückwärtsbewegung machen zu sehen, hörten wir plötzlich auf der zu uns hinaufführenden Treppe die schweren Grenadiertritte. Von der Brüder- und Scharrnstraße, will also sagen von Rücken und Seite her, war man in das Rathaus eingedrungen. Jeder von uns wußte, daß wir verloren seien. In einem unsinnigen Rettungsdrange verkroch sich alles hinter den großen schwarzen Kachelofen, während mir eine innere Stimme zurief: ›Überall hin, nur nicht da.‹ Das rettete mich. Ich trat dem an der Spitze seiner Mannschaften eindringenden Offizier entgegen, empfing einen Säbelhieb über den Kopf und brach halb ohnmächtig zusammen, hörte aber gleich danach noch Schuß auf Schuß, denn alles, was, die Büchse in der Hand, sich hinter den Ofen geborgen hatte, wurde niedergeschossen…«
Auf die Weise, wie hier erzählt, sind am achtzehnten März die meisten zu Tode gekommen, namentlich auch in den Eckhäusern der Friedrichstraße; die Verteidiger retirierten von Treppe zu Treppe bis auf die Böden, versteckten sich da hinter die Rauchfänge, wurden hervorgeholt und niedergemacht.«
[Theodor Fontane, Von Zwanzig bis dreißig https://www.projekt-gutenberg.org/fontane/zwanzig/chap14.html]
Teilweise sind die Barrikaden zwei oder drei Stockwerke hoch. Sie bestehen aus allem, was gerade greifbar war: Umgekippte Lastkarren, Verkaufsbüdchen, Rinnsteinabdeckungen, Bretter, Schränke … und die Revolutionäre sind mutig, aber schlecht bewaffnet.
Die Soldaten dagegen sind unbarmherzig. Sie schlagen auf die Kämpfer ein, wenn sie sie denn zu fassen kriegen. Für den Häuserkampf sind sie nicht ausgebildet, aber wenn sie in den Wohnungen verbliebene Revolutionäre, oder Menschen, die sie dafür halten, finden, lassen sie ihrer Wut freien Lauf.
Dennoch halten viele Barrikaden und ihre Kämpfer den Angriffen stand, selbst als Kanone und Kartätschen zum Einsatz kommen. Ist eine Barrikade gefallen, wird hundert Meter dahinter die Nächste gebaut.
General von Prittwitz sieht keine Möglichkeit, mit seinen Truppen alle Straßen zurückzuerobern, deswegen empfiehlt er, dass der König nach Potsdam in Sicherheit gehe. Dann könne man die Stadt von Außen abriegeln und mit schwerer Artillerie einnehmen.
Der König lehnt ab. So weit will er nicht gehen.
In den frühen Morgenstunden ertönt plötzlich Trommelwirbel auf den Straßen. Die Soldaten ziehen auf Befehl des Königs ab. Die Barrikadenkämpfer fallen sich erschöpft in die Arme, sie haben das preußische Militär besiegt.
Aber zu welchem Preis?
Das Blut versickert in den aufgerissenen Straßen, 200 Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder sind gestorben, 100 weitere werden in den folgenden Tagen ihren Verletzungen erliegen.
Das Entsetzen ist groß. Der König soll sehen, was er seinen Bürgern angetan hat, man legt die Leichen auf Karren und Bretter und trägt sie zum Schloss. Im Schlosshof werden sie aufgebahrt. Der König tritt für einen Moment auf den Balkon. Sie rufen »Mütze ab« und der König erweist den Toten die Ehre und zieht seine Mütze vom Kopf. Er scheint tief gezeichnet von der Nacht und den Ereignissen.
In dem beschaulichen Städtchen Morgenthal weht 1845 ein Hauch von Aufstand. Da wird die Leiche des Tuchfabrikanten Hartenau im Fluss gefunden, eindeutig ermordet, mit einem demagogischen Gedicht in der Tasche. Zuviel für den Gendarm, er bittet in Berlin um Amtshilfe, und der Sonderermittler Justus von Kleist reist an.
Schnell intrigieren die Erben, auch unter den Weber gibt es Verdächtige. Parallel dazu entdeckt die junge Jüdin Rachel Grünblatt ihre journalistische Begabung und schreibt über die Missstände in der Fabrik und die Abhängigkeit der Weber. Diese bekommen zB keinen Lohn, sondern Gutscheine, mit denen sie im fabrikeigenen Laden »einkaufen« können. Die Situation in Morgenthal ist angespannt, der Vaterländische Verein (erzkonservativ und judenfeindlich) mischt sich ein, die Weber streiken, ein weiterer Mord geschieht.
Der erste Leseeindruck ist zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftig: geschrieben in Präsenz, die Sätze meist sehr kurz, die Perspektive auktorial, dem Duktus nach eher ein Bericht. Und dennoch packen mich die Figuren und der historische Rahmen.
Es geht um Missbrauch, Misshandlung und dem stillen – oder nicht so stillen – Ertragen der Machtverhältnisse. Um die Abhängigkeit der Weber von der Fabrik und dem Besitzer, der sich die Fadenmädchen in sein Büro kommen lässt – wozu kann man sich denken. Um die Blindheit der »gehobenen« Gesellschaft, die so langsam mit der jungen Generation ein soziales Gewissen und eine eigene politische Meinung entwickelt – und sie nicht verschweigt. Am Ende kann ich sagen: so wird es gewesen sein, in einer schlichten, schrecklichen Wahrheit. Ein gelungener Krimi vor historischer Kulisse, sehr lesenswert.
»Leichentuch und Lumpengeld« von Gabriella Wollenhaupt, GRAFIT Verlag, 2008 – [unbezahlte Werbung]
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Bis zur nächsten Post am 18. des Monats
Viele Grüße
Maria